Berlinbuch-Tipp: Das kunstseidene Mädchen
Marc Lippuner stellt Irmgard Keuns 1932 erschienenen Roman "Das kunstseidene Mädchen" vor.
Es liest: Jenny Kittmann
Inhalt: Ein fast aus Versehen geklauter Pelzmantel katapultiert Doris, die ihr Leben als schlecht bezahlte Angestellte in einer rheinischen Provinzstadt fristet, in die Weltmetropole Berlin. In der großen Stadt, die vornehm ist mit hochprozentigem Licht und ganz übermäßiger Lichtreklame, will die junge Frau ihren Traum von Liebe, Luxus und Karriere verwirklichen: Ein Glanz möchte sie werden. Und irrt durch die Straßen und irrt sich in den Männern, die ihren Weg kreuzen, um letztlich mit ihrem geklauten Pelzmantel auf einem Koffer am Bahnhof Friedrichstraße zu sitzen und festzustellen, daß es auf den Glanz vielleicht gar nicht so ankommt.
Fazit: Irmgard Keun hat weit mehr als einen trivialen Unterhaltungsroman geschrieben, in dem ein naives Mädchen aus der Provinz in der Großstadt einen Millionär sucht. Man ist leicht versucht, Doris‘ Geschichte auf ihre Männerbekanntschaften zu reduzieren; mit ihrer ahnungslosen Blauäugigkeit dokumentiert Doris jedoch unverstellt die politischen Zustände der untergehenden Weimarer Republik: Sie berichtet von technischen Errungenschaften und immenser Arbeitslosigkeit, von Prostitution und Obdachlosigkeit, von Antisemitismus und dem Erstarken der Nationalsozialisten, von prekärem Künstlerdasein und vom Tanz auf dem Vulkan. Es verwundert nicht, dass der Roman 1933 als „Asphaltliteratur mit antideutscher Tendenz“ umgehend beschlagnahmt und verboten wurde. Die arbeitsscheue Doris, die ihr Leben als Film begreift und lieber eine Hure werden würde, als sich noch einmal an eine Schreibmaschine zu setzen, ist nicht der Typ Frau, der im Nationalsozialismus seinen Platz hätte finden können.
Die Episode zum Nachlesen: hier
Informationen zum Podcast: hier
Kommentare
Neuer Kommentar